Das Logo zierte ein Katzenkopf mit Kopfhörern und sieben Buchstaben. Napster. 1999 ging die Musiktauschbörse oder im Internet Jargon: Filesharing-Plattform ans Netz und mit einem Mal war nichts mehr wie vorher. Das war zwar kaum jemandem anfänglich bewusst, aber die Götterdämmerung für die Musikindustrie hatte begonnen. Musik für nichts aus dem Internet runterladen – auch wenn das anfänglich dank ISDN-Geschwindigkeit noch ewig dauerte. In den Folgejahren verlernten viele Menschen für Musik zu bezahlen, der Absatz von CDs sank kontinuierlich und die Plattenfirmen stürzten sich in Kriminalisierungsmaßnahmen und Lobbyarbeit, um den illegalen Downloadern an den Kragen zu gehen. Dass der Ruf nach harter Bestrafung kein fehlendes Geschäftsmodell ersetzt, drang mit Verzögerung auch bis in die Geschäftsetagen durch. Man wollte schließlich weiter von silbernen Tellern essen. Mittlerweile hat die Musikbranche ihr Geschäft digitalisiert und der Verkauf digitaler Inhalte kompensiert die sinkenden CD-Verkäufe einigermaßen. Das Wehklagen der Plattenfirmen ist deutlich leiser geworden. Zwischenzeitlich war es so laut, dass man diejenigen vergaß, die für die wohligen Klänge, die aus den Wohnzimmerboxen fließen, verantwortlich sind: die Musiker. Für die hat sich noch weit mehr geändert als für die großen Labels. Das Internet hat die Produktion eigener Musik unwahrscheinlich vereinfacht, auch wenn das WWW Talent selbstverständlich nicht ersetzt. Die Möglichkeiten der Verbreitung der eigenen Musik haben sich durch soziale Netzwerke ungleich potenziert und schaffen eine ganz neue Nähe zwischen Musiker und Bands. Einer, der das heute und gestern sehr gut kennt, ist Matthias Kranz, Bandmanager, Booker und Bassist der Hamburger Band Wilhelm Tell Me. Er hat für uns die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Musiker aufgegriffen, die Vor- und Nachteile erläutert und den Blick in die Glaskugel gewagt.

Matthias mit Wilhelm tell me auf der Musikschutzgebiet Bühne

Matthias, sind wir mal ehrlich: Kann man als Musiker heutzutage überhaupt noch Geld verdienen?

Das lässt sich schwierig beantworten. Das fängt schon mit der Definition „Musiker“ an! Ist man Einzelkünstler? Ist man Session-/Livemusiker für verschiedene andere Künstler und Bands? Ist man gleichzeitig auch Komponist? Welchen Karriere- und Lebensweg strebt man überhaupt an? Es ist alles sehr vielschichtig und deshalb nicht in der Kategorie „Musiker“ zu beantworten. Grundsätzlich finde ich es aber immer wichtig heraus zu stellen, dass auch nicht alle „Fußballer“ vom Fußballspielen leben können.

Du kennst noch die analoge Zeit und hast die Digitalisierung der Musikindustrie beobachtet und miterlebt? Welches ist der größte Vorteil für junge aufstrebende Musiker gegenüber der vermeintlich guten alten Zeit?

Na klar, das Internet. Die unglaublich breite Öffentlichkeit und Verbreitung, die man mit seiner Musik durch das Netz und seine einschlägigen Portale bekommen kann. Jeder kann durch das Hochladen seiner Musik zumindest schon mal seinen Song fast der ganzen Welt öffentlich machen und mit ihr in Austausch treten. Wie viele Menschen man damit dann erreicht, das hängt natürlich wieder von vielen anderen Faktoren ab – nicht zuletzt von der Qualität. Aber es gibt sie ja jeden Tag, die Internet-Phänomene. Und die Musikszene ist durch das Internet auch vielschichtiger geworden. Viel mehr ist möglich, viel mehr kann ausprobiert werden. Aber klar ist auch: In der Fülle des Internets auf einer höheren Ebene wahrgenommen zu werden, das ist schon die Ausnahme. Aber noch vor 15 Jahren war die Chance, dass man als Musiker/Band aus einem nordhessischen Dorf irgendwo außerhalb des 20 Kilometerumkreises „Gehör“ fand, im Grunde ausgeschlossen – auch wenn der „Plattenvertragstraum“ natürlich von jedem geträumt wurde.

Ich muss aber auch noch etwas heraus stellen, nämlich die großen Fortschritte in Hinsicht auf Aufnahme- und Produktionsmöglichkeiten. Das ist einfach totaler Wahnsinn. Vor eben jenen 15 Jahren habe ich mit meiner damaligen Band für eine CD-Produktion noch auf Kassette aufgenommen – und wir hatten acht Aufnahmespuren zur Verfügung. Heute kann man mit Hilfe eines Rechners und ein bisschen passender Hard- und Software schon Aufnahmeergebnisse erzielen, für die man damals seine Seele verkauft hätte.

Nachdem Wilhelm Tell Me das erste Album „Excuse My French“ noch ganz klassisch auf CD und sogar Vinyl releast hat, geht ihr nun einen ganz neuen Weg: Seit dem 8. Februar 2013 veröffentlicht ihr jeden Monat einen neuen Song. Was hat Euch zu diesem Schritt bewogen? Was versprecht ihr Euch von diesem Schritt?

Für uns ist das einfach der natürlichste und beste Weg, der uns unglaublich große Freiheiten und hoffentlich auch Chancen beschert. Eine Albumproduktion – eben gerade für uns, die wir alles selbst machen, von der Produktion bis hin zum Promoten und Verkaufen – ist vor allen Dingen ein unglaublich großer Stress und Druck. Man muss funktionieren und tausende Sachen auf den Punkt fertig bekommen. Und es muss alles zusammen passen. Die Titel, das Artwork, das Image, das Marketingkonzept, die Tournee und so weiter und so weiter. Man verwirft tolle Ideen, weil sie eben nicht auf das Album oder eben in die Zeit passen. Letztendlich schmeißt man so auch tolle Songs und wichtige Entfaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten im wahrsten Sinne des Wortes weg. Auf der anderen Seite gehen auch viele tolle Songs auf einem Album unter – eben wenn sie nicht die „Singles“ sind die promotet und beworben werden. Uns geht es aber wirklich um das – den Song – jeden Einzelnen. Und das eben immer auch gerade in dieser Zeit, in der sie entstehen und sie aus uns heraus kommen. Wir können uns so viel besser ausprobieren und unseren Ideen sowohl im Entstehungsprozess als auch in Hinsicht auf die Veröffentlichung viel mehr Kreativität, viel mehr Raum und Aufmerksamkeit schenken. Und unsere Fans und die andere Öffentlichkeit hören und sehen quasi in Echtzeit, was uns beschäftigt und umtreibt.

Wagen wir einen Blick in die Glaskugel: Wie sieht der Musikmarkt in fünf Jahren aus?

Für den gesamten Labelbereich – auch für die kleinen Labels – geht es nach über 10 Jahren der Krise wieder bergauf. Schon in 2012 haben wir ja das Ende der Talfahrt erreicht und die Zuwächse aus dem Digitalgeschäft haben die Verluste aus dem sogenannten physischen Geschäft ausgeglichen. In den nächsten drei Jahren wird sich vor allen Dingen der gesamte Streamingbereich als erheblicher Wachstumsmotor erweisen, weil es eine neue digitale Vertriebsform darstellt, die eine große Masse an Musikhörern neu dazu gewinnt – zum Beispiel durch die Kopplung an Handyverträge. Und nebenbei führt es den „illegalen Download“ ad absurdum, weil die Musik sowieso in toller Qualität frei oder über eine Flatrate verfügbar ist. Im Jahr 2018 leben wir dann fast vollständig in der Streamingwelt. CDs und Vinyls werden für die Musikwirtschaft als Vertriebsformate im Grunde keinerlei Relevanz mehr haben und nur noch für Sammler von Bedeutung sein. Selbst eine Festplatte mit einer mp3-Sammlung entwickelt durch die allgegenwärtige Verfügbarkeit in der Cloud im alltäglichen Leben keinen Sinn mehr und wird wohl eher als eine Art musikalische Lebensversicherung in den Schrank gestellt.

Sehr schwierig wird es aber für den Live/Konzertbereich, der in den nächsten Jahren noch weiter in die Krise wandern wird. Zu viele Konzerte und Festivals, gesättigte Nachfrage und letztlich auch explodierende Gagen und Produktionskosten sind die Gründe hierfür.

Philipp Hühne